„Gegen die tem­po­rä­re Wahr­heit“: Ost­mit­tel­eu­ro­päi­sche Wis­sen­schaft­ler im Dia­log mit deut­schen Ras­sen­theo­rien

Wie reagier­ten ost­mit­tel­eu­ro­päi­sche Wis­sen­schaft­ler Anfang des 20. Jahr­hun­derts auf die ras­sis­ti­schen Theo­rien, die den aka­de­mi­schen Dis­kurs präg­ten? Der Vor­trag beleuch­tet die Lauf­bah­nen von For­schern wie Mate­usz Mie­ses, Erwin Hans­lik und Jan Cze­ka­now­ski, die in deutsch­spra­chi­gen aka­de­mi­schen Krei­sen tätig waren. Sie beschäf­tig­ten sich mit Ras­sen­an­thro­po­lo­gie, Anthro­po­geo­gra­phie und Eth­no­lo­gie – und stan­den zugleich im Span­nungs­feld domi­nie­ren­der Ras­sen­theo­rien. Ihre Hal­tun­gen waren viel­schich­tig: kri­tisch, ambi­va­lent, iro­nisch und zugleich pro­ak­tiv – stets mit dem Anspruch, Fehl­ent­wick­lun­gen der Ras­sen­theo­rien zu kor­ri­gie­ren. Für die­sen Mut, gegen die „tem­po­rä­re Wahr­heit“ ihrer Dis­zi­pli­nen auf­zu­tre­ten, muss­ten sie per­sön­li­che und beruf­li­che Kon­se­quen­zen tra­gen. Beson­de­res Augen­merk gilt ihrer kom­pli­zier­ten Bezie­hung zum deutsch­spra­chi­gen aka­de­mi­schen Milieu. Als Ange­hö­ri­ge eth­ni­scher und kul­tu­rel­ler Min­der­hei­ten – Juden, Polen, sla­wisch­stäm­mi­ge Öster­rei­cher – waren sie aka­de­mi­schen Vor­ur­tei­len aus­ge­setzt, blie­ben jedoch nicht völ­lig immun gegen den Ein­fluss der Ras­sen­theo­rien, die sie zugleich bekämpf­ten.
Foto (Por­trait): Dawid Żucho­wicz, Agen­c­ja Gaze­ta

Prof. Dr. Maciej Gór­ny ist His­to­ri­ker und Vize­di­rek­tor des Tade­usz Man­teuf­fel-Insti­tuts für Geschich­te der Pol­ni­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten in War­schau. Er forscht zur Geschich­te Mit­tel- und Ost­eu­ro­pas im 19. und 20. Jahr­hun­dert sowie zur Wis­sen­schafts­ge­schich­te. Zu sei­nen wich­tigs­ten Publi­ka­tio­nen zäh­len “Wiel­ka Woj­na pro­fe­sorów. Nau­ki o czło­wie­ku (1912–1923)” [Der gro­ße Krieg der Pro­fes­so­ren. Wis­sen­schaf­ten vom Men­schen (1912–1923)], 2014 (engl. 2019, russ. 2021) sowie – gemein­sam mit Włod­zi­mierz Borod­ziej – die zwei­bän­di­ge Geschich­te des „lan­gen“ Ers­ten Welt­kriegs in Mit­tel- und Ost­eu­ro­pa (Nas­za woj­na [Unser Krieg], 2014–18, dt. 2018, engl. 2021/23).